Aussitzen und Überreaktion sind gefährlich für die Reputation

Vom Umgang mit russischen Investoren und der Gestaltung von Geschäftsbeziehungen mit Russland

Der Angriff der russischen Armee auf die Ukraine hinterlässt in Europa Entsetzen und stösst auf breites Unverständnis. Auch wenn die Folgen dieses Krieges heute noch gar nicht oder erst in Ansätzen sichtbar sind, so werden die erschütternden Ereignisse über lange Zeit hinweg nachwirken – nicht nur, aber auch auf die Öffentlichkeit, die Politik und die Wirtschaft. Unternehmen und Organisationen mit Kontakten, Kunden und Geschäftsbeziehungen in und nach Russland oder Weissrussland stehen nicht nur vor Problemen bezüglich ihres operativen Geschäftes, sondern sie müssen sich zwingend und schnell mit den Fragen der Reputation und des Krisenmanagements auseinandersetzen.

Was ist nun zu tun, wenn ein grosses Immobilienunternehmen, eine Schweizer Bank, ein Maschinenhersteller, ein Energiekonzern oder weitere Firmen direkte – und bis vor wenigen Wochen gut laufende – Kontakte und Geschäftsbeziehungen mit Russland oder russischen Partnern hatte? Die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Sie muss situativ analysiert werden und insbesondere auch mittel- und langfristig punkto Lösungen und Massnahmen beantwortet werden. Viele Unternehmen und Organisationen reagieren allzu spontan, andere wiederum reagieren träge, Dritte versuchen diese Thematik «unter dem Radar» zu behandeln, in der Hoffnung, der Spuck sei bald vorüber. In Bezug auf die Reputation eines Unternehmens sind die genannten Lösungsvarianten unbefriedigend und mit weitreichenden und negativen mittel- und langfristigen Folgen verbunden.


Es gibt in dieser Krise keine allgemeingültigen Rezepte

In Bezug auf die Unternehmenskommunikation ist festzuhalten, dass weder ein Aussitzen der Situation noch eine Überreaktion zu einer Sicherung der Reputation eines Unternehmens beitragen. Vielmehr sind es genau die beiden genannten Verhaltensweisen, welche die Reputation eines Unternehmens nachhaltig beschädigen können. Die Situation ist in der Regel spezifisch nach Branchen und der Tiefe der Geschäftsbeziehungen mit russischen Geschäftspartnern zu analysieren. Geschäftsbeziehungen zu sistieren, freiwillig oder durch Sanktionsbestimmungen der Behörden, bedürfen einer kommunikativen Beurteilung in Bezug auf die Reputation des Unternehmens. Dort, wo russische Investoren, Verwaltungsräte oder MitarbeiterInnen davon betroffen sein können, ist besonders sorgfältig vorzugehen. Was heute, also kurzfristig, als richtig und angemessen erscheint, kann mittel- und langfristig betrachtet zu einer Kaskade von Problemen für ein Unternehmen führen, sei es bei der operativen Tätigkeit, in juristischer Hinsicht, in einer moralischen Dimension oder bei der öffentlichen Wahrnehmung.


Kommunikativ sind die meisten Massnahmen langfristig zu betrachten

Bei vielen Fragestellungen muss zudem auf die Kongruenz mit den Bestimmungen der Behörden (Sanktionen) geachtet werden. Die Auslegung einzelner neu geltenden Rahmenbedingungen ist zu diskutieren. Auch ist die Reputation in Bezug auf die Wahrnehmung des Unternehmens in der Gesamtbetrachtung der Schweizer Wirtschaft zu beurteilen. Nach ersten Erfahrungen mit einigen Unternehmen und Dienstleistern, die einen Bezug zu Russland haben, mussten wir feststellen, dass jeweils primär der Faktor Wirtschaftlichkeit in die Analysen eingeflossen ist. Dies mag in der aktuellen Lage vermeintlich angebracht sein, doch die längerfristige Betrachtung auch anderer Aspekte fehlte meistens. Viele Unternehmen neigen dazu, überhastet zu reagieren und vernachlässigen den Blick über die nächste Hügelkette hinweg. Dabei geht gerne vergessen, dass die durch Russland provozierte Zäsur in Europa nachhaltige Veränderungen im Verhalten und der Geschäftspraxis vieler auch nicht direkt durch den Krieg betroffene Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche nach sich ziehen wird. Kommunikativ müssen diese Veränderungen und Massnahmen massvoll und vor allem auch auf die spezifischen Anspruchsgruppen (Zielgruppen) angepasst vermittelt werden.


Eine qualifizierte Aussensicht ist in Krisenlagen besonders wertvoll

In Krisensituationen ist eine Aussensicht wertvoll. Das Unternehmen wird durch die äusseren Umstände dazu forciert, die ökonomischen Folgen von Massnahmen oder Problemstellungen zu priorisieren. Das ist wichtig, jedoch in der gegenwärtigen Krise mit einer nur schwer vorhersehbaren und dynamischen Entwicklung kaum genügend. Der gezielte Einsatz von aussenstehenden Spezialisten kann hier hilfreich sein. Sie können die ganzheitliche Betrachtung von Analyse und Massnahmen ergänzen und Entscheidungen von Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten kritisch herausfordern. Gerade in Bezug auf die Reputation des Unternehmens, welche immer langfristig beurteilt werden sollte, sind solche ergänzenden Prozesse empfehlenswert.

 

KMES Partner | Hans Klaus & Markus Spillmann