Warum fehlende Vorbereitung Krisen eskalieren lässt
Zu häufig setzen Organisationen darauf, dass eine Krise von selbst wieder abebbt, ohne dass sie viel dagegen tun müssten. Das zeigt sich in unzureichender Vorbereitung und fehlenden Nachfolge-Regelungen, falls ein Top-Kader involviert sein sollte. Beispielhaft dafür ist die schwere Krise beim Weltwirtschaftsforum (WEF), die auch nach bald anderthalb Jahren noch nicht ganz ausgestanden ist.
Von HANS KLAUS
Die wenigsten Krisen entstehen aus dem Nichts, sondern bauen sich im Stillen auf. Wie die Wellen eines Tsunamis bewegen sie sich lange unter der Oberfläche, für das blosse Auge nicht sichtbar. Nähern sie sich aber dem Ufer, türmen sie sich scheinbar plötzlich auf – nun für alle als Bedrohung erkennbar, aber auf ihrem Pfad der Zerstörung nicht mehr aufzuhalten. Vorwarnsysteme können sie registrieren, so lassen sich Evakuierungen früh einleiten, die Zahl der Opfer und die materiellen Schäden begrenzen. Aber dafür muss man sie installieren, ihre Signale deuten können und ihnen entsprechend handeln.
Was geschieht, wenn Frühwarnsysteme für Krisen fehlen oder versagen, konnte man seit vergangenem Jahr beim Weltwirtschaftsforum (WEF) sehen. Am 29. Juni 2024 war im Wall Street Journal ein Artikel erschienen, den auch die hiesigen Medien breit aufgriffen: Klaus Schwab, der Gründer und langjährige Vorsitzende des WEF wurde von ehemaligen Mitarbeitern der sexuellen Belästigung, des Rassismus und der Diskriminierung beschuldigt. Eine Mitarbeiterin reichte in den USA Klage ein. Am 3. April 2025 meldete die Financial Times, Schwab wolle zurücktreten bzw. «den Prozess dafür beginnen». Am 22. April 2025 berichtete das Wall Street Journal, nun würden auch Vorwürfe der Veruntreuung geprüft. Schwab und seine Frau hätten WEF-Mittel für Luxusimmobilien und -reisen missbraucht.
Darauf gehofft, dass die Krise von selbst abebbt
Schwab trat am Vortag des Erscheinens des Artikels, am Ostermontag 2025, per sofort zurück. «Der nackte Kaiser von Davos», kommentierte die NGO «Public Eye»: «Mit seiner mutmasslichen Ignorierung all jener ‹Governance›-Prinzipien, deren Wichtigkeit er der Wirtschaftswelt und seinen Partnerkonzernen jahrzehntelang predigte, hat sich der WEF-Gründer sein Grab selbst geschaufelt.» Da half es auch nichts mehr, dass der WEF am 15. August 2025 erklärte, nach eigenen Untersuchung gäbe es «keine Hinweise auf ein wesentliches Fehlverhalten». Der inzwischen 87-jährige Schwab, der den WEF 1971 gegründet und seitdem geleitet hatte, war nicht mehr zu halten. Ihm folgten bisher drei interimistische Leiter, eine tragfähige Nachfolgelösung steht noch immer aus.
Aus Sicht der Krisenkommunikation hat das WEF eine Vielzahl von Fehlern gemacht, was angesichts der selbsterklärten Mission wie «Vertrauen etablieren» und «Wahrung höchster Standards der Governance sowie moralischer und intellektueller Integrität» besonders ironisch bzw. tragisch ist. Neben der erkennbar unzureichenden Vorbereitung gab es wohl zu lange die Hoffnung, die Lage würde sich selbst wieder beruhigen, die Welle ohne nennenswerte Schäden wieder abebben. Bedenklich auch, dass der WEF – mit 28 Trustees, sechsköpfigem Managing Board, acht Managing Directors, 35-köpfigem Executive Committee und weltweitem Netzwerk – bald anderthalb Jahre nach den ersten Vorwürfen noch keinen Nachfolger für den sowieso hochbetagten Gründer präsentieren konnte.
Auf jede Art von Krise vorbereitet sein
Dabei muss jede Organisation mit Krisen aller Art rechnen und sollte sich intensiv darauf vorbereiten. Auf Krisen um Führungskräfte – berechtigte oder fingierte Vorwürfe des Fehlverhaltens –, auf Produktionsrisiken (z. B. Havarie), auf Finanzrisiken (z. B. Kursabsturz), auf Produktrisiken (z. B. Schäden oder Rückruf wegen Mängeln). Man will sie selbstverständlich vermeiden, plant sie aber zur Sicherheit ein. Zur kommunikativen Vorbereitung gehören: Ein Krisenhandbuch mit möglichen Szenarien und Folgen, Strategien, Ablaufpläne und Checklisten für den Notfall, vorformulierte Kernaussagen und Textbausteine. Im Notfall muss man noch hier und da anpassen, ist aber im Wesentlichen bereit und handlungsfähig.
Für Top-Kader wie Verwaltungsräte, CEOs, Konzern- bzw. Geschäftsleitungen muss für den allfälligen Bedarf (z. B. auch Unfall oder schwere Erkrankung) eine mögliche Nachfolge vorbereitet sein, die schnell präsentiert werden kann. Das gilt besonders im heutigen Medienumfeld, in dem Krisen grundsätzlich personalisiert und boulevardisiert werden, man also von der Person direkt auf die Organisation schliesst. Für Gründer, Inhaber und unternehmerische «Patriarchen» alter Schule liegt der Gedanke oft fern, selbst ersetzbar zu sein oder gehen zu müssen. Aber für den Bestand ihres Werkes sollten sie ihn nie ausschliessen; damit tun sie das Beste für das, was sie geschaffen haben.