Innovative Mobilität muss neu gedacht werden

Kapazitätsengpässe in den Agglomerationen und Steuerung für mehr Effizienz und CO2-Neutralität spielen bei der zukünftigen Mobilität eine wichtige Rolle.

Schiene, Strasse und Aviatik bilden das Rückgrat der Mobilität in der Schweiz. Den drei Verkehrssystemen gemeinsam sind wachstumsbedingt zunehmende Kapazitätsengpässe in den Agglomerationen und in den Spitzenzeiten. Um die dadurch entstehenden Kosten für die Kapazitätsausweitung bei der Infrastruktur decken zu können, braucht es eine entsprechende Finanzierung. Wie aber kann Gesellschaft, Politik und Wirtschaft Wege aus dem Dilemma zwischen anhaltendem Wachstum, steigenden Kosten für den Unterhalt und den Ausbau der Infrastruktur sowie den durch fossile Brennstoffe verursachten CO2-Emissionen mit der daraus resultierenden Klimaerwärmung finden?

In einer durch die ETH, HSG sowie einer Expertengruppe erarbeiteten Studie aus dem Jahr 2014 wurden unter dem Titel „Vision Mobilität Schweiz 2050“ für verschiedene Verkehrsplattformen Wachstumsannahmen prognostiziert. Auch wenn die Studie schon etwas in die Jahre gekommen ist, sind die Prognosen interessant.

Kurzfristige Einzelereignisse wie etwa die Corona- Pandemie oder nun der Krieg in der Ukraine finden darin logischerweise keinen Platz, was aber nicht nachteilig ist, da Planung und Bau der entsprechenden Infrastruktur eher in langen Zyklen und entsprechend langsam verlaufen.

Die Trends der Verkehrsträger entwickeln sich gemäss der Studie wie folgt:

Der motorisierte Individualverkehr entwickelt sich bis 2030 mit +10% und stagniert danach.

Der Güter und der Personenverkehr in der Luft, auf der Strasse und auf der Schiene wird sich bis 2050 mit 20% bis 70% mittel bis stark entwickeln.

Die limitierte Infrastruktur der Landesflughäfen stellt in Verbindung mit dem erwarteten Passagierwachstum bis 2050 von 60-70% nach wie vor eine Herausforderung für den Betrieb und die gesetzlichen Rahmenbedingungen dar.

Hohe Erweiterung-und Unterhaltskosten

Vor allem die Kapazitätsengpässe in der Agglomeration erhöhen die Investition- und Unterhaltskosten der Infrastruktur. Dabei werden nicht alle Verkehrsträger gleich finanziert. Während sich die Luftfahrt weitgehend aus privatwirtschaftlichen Mitteln finanziert, werden im Gegensatz dazu der Betrieb, der Unterhalt- und die Erweiterungskosten der Bahn mit über 5 Milliarden Franken durch die öffentliche Hand unterstützt. Der Strassenverkehr wird durch den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fond (NAF) durch zweckgebundene Steuereinnahmen finanziert. Der NAF unterstützt den Betrieb und Unterhalt mit ca. 3 Milliarden Franken, ca. 0.5 Milliarden Franken werden dabei durch die öffentliche Hand getragen.

Die Aviatik ist saisonalen und täglichen Schwankungen ausgesetzt und stösst in den Spitzenzeiten oft an ihre Kapazitätsgrenzen. Die liberalisierte globale Aviatik operiert seit Jahren unter grossem Konkurrenzdruck, was wiederum die Betreiber zu grösster Effizienz bei Beschaffung, beim Unterhalt und Betrieb zwingt. Trotz Single-Sky-Abkommen kommt die effizientere Nutzung des Luftraums weiterhin nur zögerlich voran.

Die Bahninfrastruktur (Schiene und Rollmaterial) hat einen grossen Unterhalts- und Erneuerungsbedarf mit entsprechenden Kostenfolgen. Kommerziell erzielte Einnahmen durch den Verkauf etwa von Tickets sind dabei längst nicht kostendeckend, und eine entsprechende Preisanpassung ist politisch nicht durchsetzbar. Daher werden bei der Bahn die Steuerzahler weiterhin zur Kasse gebeten.

Neue Technologien müssen her, was wiederum neue Infrastrukturen notwendig macht (z.B. Lade-Infrastruktur für E-Mobilität mit sauberem Strom, Verteil-Infrastruktur für gasförmige Energieträger, Tunnelbau und Brückenbau für Hochgeschwindigkeitsverbindungen.)

CO2-Emissionen müssen gesenkt werden

Weltweit wurden 2018 ein Viertel der CO2-Emissionen durch die Transportindustrie verursacht. Im europäischen Transportsektor trägt der Strassenverkehr mit fast drei Viertel zum CO2-Ausstoss bei, die Luftfahrt sowie die Schifffahrt verursachen zu je rund einem Achtel der CO2 Transport Emissionen. Nur der Schienenverkehr ist praktisch CO2-neutral.

Auch die Transportindustrie muss sich den globalen Umweltzielen unterwerfen und ihren Beitrag für eine CO2-neutrale Welt bis 2050 beitragen. Erreicht werden kann dies durch Kompensation oder durch Emission-Vermeidung. Emissions-Vermeidung kann durch CO2-neutrale Brennstoffe, CO2-Kompensation durch eine Rückführung des CO2-Anteils erreicht werden.

Innovative Lösungsansätze für beide Methoden sind in verschiedenen Entwicklungsstufen in der Schweiz vorhanden, müssen ihren praktischen Nutzen aber noch beweisen. Dennoch könnte die Schweiz auf diesem Gebiet eine mindestens europäische, wenn nicht sogar globale Vorreiterrolle übernehmen.

CO2-Reduktion und Steigerung der Effizienz

Viel wird über den technischen Fortschritt bei allen Mobilitätssystemen geschrieben. Die Entwicklung von Elektroantrieben für Fahr- und Flugzeuge oder die breite Palette von neuen aviatischen Transportlösungen durch die Verwendung von Drohnen sind aber nicht die einzigen technologischen Treiber einer innovativen Mobilität.

Eine beschleunigte Entwicklung hin zu CO2-neutralen Energieträgern ist dringend und wichtig. Wie weit die Krise in der Ukraine mit der einhergehenden Verteuerung der fossilen Energieträger eine beschleunigende Entwicklung hat, muss sich erst noch weisen. Wird die heutige Verknappung von elektrischem Strom dazu führen, das alternative Energieerzeugung wie Wasser, Wind und Photovoltaik in der Abwägung mit dem Naturschutz eine Chance bekommen? Es ist schon heute absehbar, dass CO2-neutrale Treibstoffe oder CO2-Kompensationsmodelle bei der zukünftigen Mobilität eine wichtige Rolle spielen. Zusätzlich werden auch strukturelle Veränderungen in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt sowie übergeordnete Steuerungsmechanismen Veränderungen bewirken, welche unsere Verkehrssysteme und Infrastrukturen nicht einfach immer grösser, sondern effizienter und somit leistungsfähiger machen könnten.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Veränderung gesellschaftlicher Verhaltensweisen während der Pandemie: Die zum eigentlichen Standard etablierte Videokonferenz inklusive der Arbeit von zuhause aus sind effiziente Mittel, um bestehende Mobilitätsinfrastrukturen zu entlasten bzw. Arbeitswege zu verkürzen. Die Verdichtung der Städte wird zunehmend städtisches Wohnen und Arbeiten mit kurzen Wegen ermöglichen. Die Politik wiederum ist gefordert, weil durch neue innovative Regularien Anreize geschaffen werden könnten, um Spitzenbelastungen zu brechen. Aber es braucht zunächst eine gesetzliche Grundlage, um z.B. Daten erheben, sammeln und speichern zu können, die für die effizientere Steuerung und Auslastung von Mobilitätsangeboten notwendig sind. Wirtschaftlich betrachtet müssen Infrastrukturen mit ihren langen Investitionszyklen refinanziert oder abgeschrieben werden können.

Führende wissenschaftliche Studien zeigen, dass zur Stabilisierung des Klimas bis Mitte des Jahrhunderts jährlich 10 Milliarden Kohlendioxid aus der Luft entfernt werden müssen. Eliminieren von Kohlendioxid macht unsere Natur schon länger als wir Menschen existieren, doch die moderne Gesellschaft generiert Mengen an CO2, die bei weitem nicht mehr natürlich bewältigt werden können. Es braucht neue innovative Entwicklungen, damit eine weitere Erderwärmung gebremst oder gestoppt werden kann. An entsprechenden Technologien wird gegenwärtig weltweit geforscht, es wird aber noch dauern, bis die anfallenden gigantischen zusätzlichen CO2-Mengen bewältigt werden können.

Wasserstoff als Treibstoff der Zukunft

Auf der Suche nach langfristigem Ersatz für fossile Brennstoffe bieten Wasserstoff und Brennstoffzellen eine Chance. Brennstoffzellen-Fahrzeuge sind im Grunde Elektrofahrzeuge. Im Unterschied zum "normalen" Elektroantrieb ist im Fahrzeug eine Brennstoffzelle samt Wasserstofftank verbaut, die den Strom für den Antrieb während der Fahrt erzeugt. Wasserstoffverteilung kann allerdings nicht durch die bestehenden Betankungsinfrastrukturen erfolgen, sondern braucht ein neues Verteilnetz, welches sich heute in der Schweiz im Aufbau befindet.

Oder doch synthetischer Treibstoff?

Synthetische Kraftstoffe (SAF) sind künstlich hergestellte flüssige Kohlenwasserstoff-Kraftstoffe, welche über die gleichen chemischen Eigenschaften wie fossile Kraftstoffe verfügen. Das heisst, dass synthetisch hergestelltes Benzin, Diesel und Kerosin ihre fossilen Pendants 1:1 ersetzen können. Sie sind weitgehend kompatibel mit der bestehenden Verteilinfrastruktur, den Verbrennungsmotoren und Flugzeugturbinen. Flüssige Treibstoffe haben eine 30- bis 80-mal höhere Energiedichte als Batterien, weshalb SAF vor allem für die Aviatik eine optimale CO2-neutrale Alternative bieten könnte.

Die Batterie als Energieträger

Die Verkaufszahlen der Elektroautos sind in der Schweiz ansteigend. Bereits heute sind etwa 30% der neu in der Schweiz registrierten Autos batteriebetriebene Fahrzeuge. Grosse Logistikfirmen stellen ihre Fahrzeugflotte auf Elektromobilität um. Der Markt der Ladeinfrastruktur allerdings weist in der Schweiz und europaweite Netzwerk nach wie vor Lücken auf. Die durch die Batterieherstellung entstehende CO2-Emissionen sind allerdings durch den eliminierten Verbrauch von fossilen Brennstoffen erst nach einem Drittel des Lebenszyklus eines E-Autos kompensiert und dies auch nur, sofern die Batterien mit „sauberer“ Elektroenergie aufgeladen werden.

Intelligente Steuerungssysteme

Innovative Steuerungssysteme und Nutzungskonzepte können eine effiziente Auslastung der Infrastruktur fördern und damit den Ausbaubedarf reduzieren. Allen Verkehrsträgern gemeinsam ist dabei die Notwendigkeit zu datenbasierter Planung und Steuerung.

Zu einer modernen Verkehrsinfrastruktur gehören intelligente Systeme, die relevante Verkehrsinformationen in Echtzeit erfassen und aufbereiten. Die daraus ermittelten Daten ermöglichen eine proaktive Verkehrssteuerung in einem integrierten Gesamtverkehrssystem. Wesentliche Voraussetzung dafür aber sind einheitliche Datenstandards und die Anpassung des Datenschutzes.

Mit Mobility Pricing, das vom Verkehrsteilnehmenden in der gesamten Schweiz eine Kilometerabgabe oder Leistungsabgabe verlangt, könnten für unterschiedliche Nutzungsintensitäten auch unterschiedliche Preise festgelegt werden, um entsprechende Anreize zu setzen. Damit liesse sich der Individual- und ÖV gleichmässiger auslasten.

Alte Denkmuster überwinden

Mobilität verbindet Menschen und Güter. Sie ist damit ein systemrelevantes Element der globalen Wirtschaft. Das heutige Denken in Infrastrukturkategorien muss einer Mobilitätsstrategie weichen, die über die Entwicklung von Verkehrsträger und die Erneuerungen von Infrastrukturen hinaus auch gesellschaftliche Veränderungen, die Erfordernis sauberer Energie oder die Sinnhaftigkeit intelligenter Verkehrssteuerung umfasst.

Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, braucht es weit mehr als die Diskussion über mehr Velowege und staatlich geförderte E-Mobilität. Gefordert ist eine Strategie, die zum Ziel hat, möglichst innovative Mobilität und Energiekonzepte zu entwickeln. Sie muss interdisziplinär gedacht werden und zwingend Forschung und Wissenschaft einbeziehen, um Wirtschaft und der Politik neue Impulse zu verleihen. Und es braucht die Gesellschaft, die wieder lernen muss, dass Innovation keine Bedrohung, sondern ein notwendiger Treiber auf der Suche nach besseren Lösungen ist.

KMES Partner | Stefan Conrad