Der Chef ist nicht der Krisenmanager

Bei Krisen wird oft gefordert, dass der oberste Kader öffentlichkeitswirksam «vorangehen» und «mit anpacken» müsse. In bestimmten Fällen ist das richtig, hat aber seine Grenzen: Wer das Gesamtunternehmen führt, kann nicht gleichzeitig die Krisenorganisation leiten und auch keine mediale Dauerpräsenz durchhalten. Wie es richtig geht, zeigte die Migros bei den seit Monaten andauernden Lieferschwierigkeiten wegen IT-Problemen.
Von HANS KLAUS
Kaum ein Bild gilt in der Öffentlichkeit mehr als Zeichen von Entschlossenheit und Tatkraft als das eines Chefs, der in schwierigen Zeiten mit anpackt. «Schau an, er ist sich für nichts zu schade», denken viele da zuerst. «Damit zeigt er, dass er persönlich Verantwortung übernimmt und als Vorbild vorangeht. Das motiviert auch das Team.» Die moderne Krisenkommunikation hält dieses Vorgehen allerdings für überholt. In bestimmten Fällen kann es noch immer hilfreich sein, stösst aber bald an seine Grenzen. Denn auch die Medien, von demonstrativen Machern anfangs häufig begeistert, werden bald skeptisch: «Hat er dafür keine Spezialisten – und wie konnte er überhaupt so weit kommen?»
Wie es richtig geht, zeigte die Migros in einer Krise, die seit Anfang Juni 2025 andauert. Eine Störung in der automatisierten Logistik führt bis heute dazu, dass Milchprodukte verzögert oder gar nicht ausgeliefert werden. Die Kunden stehen deswegen in vielen Filialen vor halbleeren Regalen und können oftmals nicht kaufen, was sie suchen. Dagegen muss die nicht ausgelieferte verderbliche Ware als Spende verschenkt oder sogar als Schweinefutter entsorgt werden. Das kostet Umsatz und Reputation – seit Monaten. Die NZZ zitierte gerade einen «Insider»: «Die Käse-Krise der Migros ist noch nicht vorbei». Es handele sich um ein «ungelöstes IT-Desaster», die Migros müsse «auf teure Notlösungen setzen.»
Krisenorganisation braucht eigene Leitung
Im alten Stil der Krisenkommunion hätte sich Mario Irminger, Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bundes, sofort der Öffentlichkeit stellen müssen: Reumütig für die «IT-Panne epischen Ausmasses» (Blick) entschuldigen, etwa in einem sorgsam geplanten Interview. Danach schnelle Aufklärung und Beseitigung ankündigen und beides «zur Chefsache» erklären. Das vermied Irminger klugerweise und liess zur konkreten Sache immer nur seine Mediensprecher Stellung nehmen. Selbst bei seiner späteren grossen Medientour zum Gründungsjubiläum der Migros kam das Thema nur am Rande vor. So konnte die NZZ nur mäkeln: «Hundert Jahre nach ihrer Gründung will die Migros alles richtig machen – doch es fehlt ihr an Glaubwürdigkeit.» Der CEO blieb unangreifbar.
Die Strategie hat funktioniert. Eine anfängliche Dauerpräsenz des Chefs in einer Krise, wie man sie heute auch oft noch sieht, ist nämlich kaum durchzuhalten. Schon die operative Führung des Unternehmens erfordert in Krisenzeiten zusätzliche Aufmerksamkeit. Für die separate Krisenorganisation, die es zudem braucht, hätte ein CEO weder die Zeit noch die notwendigen Spezialkenntnisse. Der Gesamtblick und das Tagesgeschäft würden leiden. Er kann bei einer fundamentalen Krise (z. B. folgenschwere Havarie) einen Überblick geben und ihre Dimension einordnen, muss die Lösung aber Experten übergeben. Bei kleineren operativen Krisen, wie etwa im aktuellen Fall der Migros, genügt letzteres.
Krise einordnen, dann den Spezialisten übergeben
In der Verantwortung des Top-Kaders liegt, dass die Krise nicht grösser wird und die Lösung nach den ersten Sofortmassnahmen strukturiert angegangen wird. Dazu dient die eigene Krisenorganisation. Das Problem kann hier in detaillierte Aufgabenpakete zerlegt werden, die Spezialisten nacheinander abarbeiten. Ihnen ist es auch möglich, fortlaufend auf die Dynamik, die jede Krise hat, zu reagieren. So werden die Ressourcen effektiv eingesetzt, um die Krise schnellstmöglich einzugrenzen und zu überwinden. Ein CEO kann das nicht leisten, auch wenn er weiter die Gesamtverantwortung trägt. Er muss dafür intern fortlaufend und ungeschönt informiert werden, es darf keine weiteren Überraschungen geben.
Die externe Kommunikation sollte der Krisenmanager übernehmen – betont sachlich, ohne vorschnelle Versprechen oder frühe Schuldzuweisungen. Spekulationen kann er so fundiert entgegentreten und korrigieren. Eine Vielzahl von Medienkonferenzen sorgt dagegen für unnötige zusätzliche Aufmerksamkeit und Emotionalität. Im Detail verlieren Öffentlichkeit und Journalisten sowieso bald das Interesse, und niemand bestreitet ernsthaft, dass an der Problemlösung gearbeitet wird. In aussergewöhnlich schwerwiegenden Fällen kann der CEO die Erstkommunikation übernehmen, ebenso die Verkündung von Richtungsentscheidungen. Alles andere muss er delegieren. Damit bewahrt er seine Glaubwürdigkeit und die des Unternehmens, verbraucht sich weder persönlich noch medial.