Wer mit der Türe knallt, gilt als Rüpel

Der Affront gegen Steinmeier ist ein Musterbeispiel negativer politischer Kommunikation

Der deutsche Bundespräsident ist nicht erwünscht in Kiew. Für den Affront mag es gute Gründe geben. Und doch ist die schroffe Zurückweisung des Besuchs durch Präsident Selenski unklug, weil Politik auch von Symbolik lebt. Das in der eigenen Heimat beliebte deutsche Staatsoberhaupt zu brüskieren dient niemandem. Schon gar nicht der Ukraine.

Die brüske Zurückweisung des Besuchs des deutschen Staatspräsidenten durch Präsident Selenski hallt nach. Zwar sind auch verständnisvolle Worte für das trotzige Türenschlagen der Ukraine zu hören. Und da und dort schwingt sogar einer Prise Schadenfreude mit. Der Affront trifft zum Glück ja jenen Staat in Europa, der andere gerne belehrt. Ihn kann man nun herzhaft kritisieren, sei es für seine Doppelmoral im Umgang mit Putins Russland, sei es für die Lieferung von 5000 Helmen und ausgeleierten Flugabwehrraketen aus DDR-Beständen. Da hat es Boris Johnson einfacher: Auch wenn der britische Premier wahrlich kein Fixstern für ethisches Politisieren ist: Sein «spontanes Schlendern» durch die Kiewer Innenstadt Seite an Seite mit Selenksi erfährt Applaus, obwohl weiterhin halb Mayfair russischen Oligarchen gehört.

Was uns zum Thema führt – der Symbolik von Gesten und ihrer kommunikativen Wirkung.

Selenski wäre besser beraten gewesen, Steinmeier zu empfangen. Im Tarngrün mit Kriegsbart, Seite an Seite mit dem ehemaligen Fürsprecher von «Nord Stream 2», der sich bereits vor heimischem Publikum reumütig zu seinen Fehleinschätzungen über Putins wahre Absichten erklärt hatte: Was für eine Botschaft an die Deutschen wäre das gewesen, aber auch an die Russen!

Selenski hätte Grösse in der Not zeigen können – er, der im Bunker sein Land vor dem Aggressor verteidigt, reicht für Russland sichtbar die Hand jenem, der für diesen zu lange Verständnis aufgebracht hat. Eine solche Geste wirkt lange über den Tag hinaus.

Es ist nicht Steinmeier, der bremst

Es wäre auch ein starkes Signal an die deutsche Bevölkerung gewesen, die das eben souverän für eine zweite Amtszeit gewählte deutsche Staatsoberhaupt seit Jahren ganz vorne auf die Popularitätsranglisten setzt. Die Deutschen mögen Steinmeier für seine kompromisssuchende Art des Politisierens, auch wenn diese in der Diktion Kiews gegenüber Putins Russland unterwürfig wirkt.

Steinmeier geniesst aber auch Kraft des Amtes moralische Autorität, deren sich Selenski hätte bedienen können beim konkreten Streben nach Waffen made in Germany und einem deutschen Verzicht auf russisches Gas. Denn es ist nicht Steinmeier, der hier bremst, sondern Kanzler Scholz und dessen SPD-geführte Regierung, «Zeitenwende» hin oder her.

Diese ist zwar mit Tremolo angekündigt worden, doch vollzogen ist sie noch länger nicht. Deutschlands Verhältnis zu Russland war dafür zu lange von Schuld (Hitlers Überfall auf Russland), Politidealismus («Handel durch Wandel») und realwirtschaftlichen Bedenken geprägt (für das Garen des Sauerbratens braucht es russisches Gas).

Politik lebt von Symbolik

Für den Kriegsverlauf ist es einerlei, wer Selenksi in Kiew die Referenz erweist. Entscheidend ist, wer den Ukrainer konkret wie hilft: militärisch mit Waffen, mit Logistik, mit Aufklärung, mit Ausbildung, mit Munition. Humanitär mit der Aufnahme der Millionen Geflüchteten, mit materieller und finanzieller Unterstützung. Und wirtschaftlich mit der Isolation Russlands als kriegsführende Partei. 

Politik aber lebt immer auch von Symbolik. Selenski hat bisher ein sicheres Gespür gezeigt, damit zu punkten. Bei Steinmeier nun hat er einen Fehler begangen. Das trotzige «Du darfst nicht kommen» wirkt wie eine kleinliche Kritik an der bisher gezeigten grossen Solidarität der Deutschen mit der Ukraine, ihrer Hilfsbereitschaft und der stillen Übereinkunft, alles zu tun, was dem Opfer dient – ausser Waffensysteme zu liefern, die von Moskau als direkte Kriegsbeteiligung aufgefasst werden könnten.

Mit der Brüskierung Deutschlands als wichtigsten Wirtschaftspartner der Ukraine in der EU untergräbt Kiew zudem unnötigerweise die bisher grosse Geschlossenheit der Europäer im Kampf gegen Russland. Was in aller Konsequenz nur Moskau hilft.

Vielleicht hat Selenski zu sehr auf seinen umtriebigen Botschafter in Berlin gehört. Dieser wirbelt zwar viel durch einschlägige Talkshows, aber bewegt kaum mehr etwas. Weil auch er gerne mit Türen knallt. Das wirkt rüpelhaft. Auch in Deutschland.

KMES Partner | Markus Spillmann