Annalena Baerbock und das D-Wort

Wenn eine Botschaft mehr als eine Zielsetzung hat - und das durchaus gewollt ist

Deutschlands Aussenministerin Annalena Baerbock hat in Fox-News den starken Mann Chinas als Diktator bezeichnet. Das sei undiplomatisch gewesen, monierten die Kommentatoren zuhause. Das mag sein, polit-taktisch aber war es nicht unklug, sagen wir. Denn sie traf damit einen Nerv der Republikaner, die ev. 2024 wieder den US-Präsidenten stellen und China zutiefst misstrauen. Und es dient der politischen Reputation Baerbocks: Sie schützt sich schon heute vor dem Vorwurf, angesichts der grossen Abhängigkeit Deutschlands zu lange mit China gekuschelt zu haben, wie es andere bei Russland getan hatten.

Vor kurzem ist wieder einmal das D-Wort gefallen – und ganz Deutschland (und ein wenig die Schweiz) zeigte sich irritiert. D für Diktator. Deutschlands Aussenministerin Annalena Baerbock hatte es als eine der ganz wenigen deutschen Politikerinnen in flüssigem Englisch in Fox-News ausgesprochen, wo sie den Trump-Anhängern (und allen anderen Amerikanern) die deutsche und europäische Aussen- und Sicherheitspolitik erläuterte. In einem Halbsatz nannte sie Chinas Machthaber Xi Jinping einen Diktator. Das sei zwar sachlich richtig, aber undiplomatisch und daher politisch unklug, urteilte die Mehrheit der (meist männlichen) Kommentatoren.

Kann man so sehen, auch, dass sie vielleicht im Live-Gespräch und in einer Fremdsprache zu sorglos war. Oder aber man billigt ihr zu, die Provokation sehr bewusst an dieser Stelle vorgenommen zu haben.

Denn sie wandte sich an mehrheitlich republikanisch gesinnte Zuschauer und indirekt an den möglichen alt-neuen Chef im Weissen Haus, Donald Trump. Und sie tat es im Wissen darum, dass die Einheit des Westens entscheidend von den USA abhängt, ganz egal, wer die Wahlen 2024 gewinnt.

Deutschland ist von China abhängig

Baerbock ist allerdings als Aussenministerin nicht nur die oberste Diplomatin Deutschlands, sondern sie ist eine durchaus machtbewusste Politikerin, die auf Wirkung und die eigene Positionierung bedacht ist.

Deutschland hat Mühe mit Abhängigkeiten; eben erst wurden jene zu Russland stark reduziert. Auch da hagelte es böse Kommentare, insbesondere gegen die SPD gerichtete, mit Moskau viel zu lange gekuschelt zu haben. «Putin versteht nur klare Worte», so und ähnlich schallte die vielstimmige Kritik.

Bei China sind die Abhängigkeiten um ein Vielfaches grösser und komplexer, als sie es beim Import von billigem russischen Gas je waren. Hier geht es um einen riesigen Binnenmarkt einer sich rasant entwickelnden Nuklearmacht, dessen Regierung eine globale Vormachtstellung anstrebt – und diese in Teilen bereits besitzt. Es geht um Systemkonkurrenz und um kritische Wertschöpfungsketten, um Rohstoffabhängigkeit und Technologietransfer. Kurzum: Wenn China morgen in Taiwan einfällt, dann hat wahrlich nicht nur, aber eben besonders auch Deutschland ein Problem.

Kein Lapsus, sondern Kalkül

Das D-Wort mag daher innenpolitisch undiplomatisch wirken, ja einem Affront gleichkommen. Es war es nüchtern betrachtet nur dann, wenn es effektiv ein Lapsus gewesen wäre. Xi Jinping jedenfalls wird es nicht als solchen verstanden haben. Sondern als Hinweis darauf, dass mindestens verbal die deutsche Aussenpolitik Distanz zu schaffen bemüht ist zu einem Regime, das sich seinerseits nicht scheut, kritische Stimmen im In- und Ausland zu gängeln.

Vordergründig zeigte sich China betupft, ist aber wohl nicht wirklich beeindruckt. Und auch die Republikaner werden die Worte Baerbocks nicht auf die Goldwaage legen.

Gehen wir also davon aus, dass die deutsche Aussenministerin um beides wusste. Und auch, dass starke Worte die grosse wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands nicht verringert. Dann wäre das D-Wort nicht in erster Linie eine Botschaft an Republikaner oder Xi Jinping gewesen, sondern eine an die heimischen Kritiker von morgen: Den Vorwurf, Pekings starken Mann zu lange den Hof gemacht zu haben, wird man ihr jedenfalls nicht mehr so leicht machen können.

KMES Partner | Markus Spillmann