Die US-Opioidkrise

Wegweisendes Gerichtsurteil gegen Johnson & Johnson

Die häufigste Todesursache in Amerika ist Drogenmissbrauch. Das exzessive Verschreiben von Schmerzmittel ist für viele Patienten der Einstieg in die Drogensucht. Erstmals spricht ein US-Bundesgericht einen Pharmakonzern mitschuldig. Der weltweit grösste Gesundheitskonzern Johnson & Johnson wird zu einer Busse von USD 572 Mio. verurteilt. Das Gerichtsurteil demonstriert wegweisenden Charakter.

Lebensbedrohung Medizin

In den USA ist es wahrscheinlicher an Drogenkonsum, als in einem Autounfall zu sterben. Dabei steht am Anfang einer Heroinsucht häufig ein rezeptpflichtiges Schmerzmittel. Opioide heissen die in Schmerzmittel enthaltenen Substanzen, die aufgrund ihrer hohen Suchtgefahr in den USA täglich 130 Menschenleben fordern. Im August 2019 hat erstmals ein Bezirksgericht in Oklahoma City einen Pharmakonzern zur Mitschuld an der Opioidkrise verurteilt. Johnson & Johnson, der weltweit grösste Gesundheitskonzern, muss nun die Folgen ihrer aggressiven Vermarktung und die Verharmlosung von Nebenwirkungen mit einer Busse von 572 Mio. Dollar entschädigen.

Der Schuldspruch zeigt eine klare Veränderung in der Handhabung der Opioidkrise. Erstmals wird ein Pharmaunternehmen gerichtlich als Verursacher der Epidemie verurteilt. In Gerichtsverhandlungen der letzten Jahre kam auf, dass Pharmakonzerne einen Massenmarkt aus Schmerzmitteln machten, die ursprünglich nur für Krebspatienten gedacht waren. Dabei verharmlosten sie die drohende Suchtgefahr und ignorierten bekannte Missbrauchsfälle. Der Vorwurf lautet, Pharmakonzerne haben das exzessive Verschreiben von Schmerzmittel gefördert, ohne ausreichend auf die Nebenwirkungen zu verweisen. Für viele Patienten der Startschuss in die Drogensucht.

Grosshandel erlaubt Nachkommen grotesker Nachfrage

Nebst den Herstellern stehen auch die drei grossen Pharmadistributoren Nordamerikas, Cardinal Health, McKesson und AmerisourceBergen in der Kritik. Als Vermittler zwischen Herstellern und Apotheken und Spitälern werden sie beschuldigt, das Nachkommen der grotesken Nachfrage überhaupt erst ermöglicht zu haben. Die Distributoren sind rechtlich verpflichtet Bestellungen zu beobachten und Auffälligkeiten der Drug Enforcement Administration (DEA) zu melden. Es wurde über eine Vielzahl von Fällen berichtet, in welchen Grosshandelsunternehmen die Apotheken warnen, wenn deren Bestellungen sich der monatlichen Limite der DEA annähern. So kann durch die Modifikation von Umfang und Lieferzeit, die Lieferung dennoch ermöglicht werden Damit verneinen die Distributoren nicht nur ihre rechtliche Pflicht, sondern verhelfen Pharmakonzernen dazu, Opioide aggressiv zu vermarkten. Ein extremes Beispiel ist die Belieferung einer ländlichen Apotheke in Kermit, einem 400-Einwohner Dorf in West Virginia. Distributoren versorgten die Apotheke in einem Jahr mit über 3 Millionen Dosen Schmerzmittel, rund 75'000 Pillen für jeden einzelnen Einwohner.

«Put them in jail»

Bereits im Mai 2019 gingen Behörden in Boston gegen das Unternehmen Insys wegen Mitschuld an der Opioidkrise vor. Insys sind die Hersteller des Fentanyl-Sprays Subsys. Die Behörden in Boston sprachen Führungskräfte der Insys der kriminellen Verschwörung schuldig. Der Opioid-Hersteller bietet ein besonders eindrückliches Beispiel unlauterer Vermarktung. Salesmitarbeiter erhielten Boni abhängig davon, wie viel und wie starke Medikamente sie an Ärzte vermitteln konnten. Nicht zuletzt sorgte die absurde Vermarktung mittels Rap Videos zur Werbung der Wirkung ihres Medikamentes für vehemente Kritik.

Im aktuellsten Gerichtsfall vom August 2019 wird der Pharmakonzern Johnson & Johnson aufgrund der unlauteren Vermarktung seiner Schmerzmittel verurteilt. Für 4000 Todesfälle wird der Pharmakonzern verantwortlich gemacht. Bei der nun geschuldeten Busse von USD 572 Mio. handelt es sich um Kosten, welche die Firma Johnson & Johnson während einem Jahr zur Bekämpfung der Opioidkrise zu tragen hat.  Das Urteil allein darf aber nicht überschätzt werden. Die USD 572 Mio. Schadensgelder sind nur ein Bruchteil der USD 1.5 – 2 Mrd. Busse, welche Marktforscher antizipiert hatten. Zudem kündigt die Verteidigung von Johnson & Johnson die Anfechtung des Urteils an. Johnson & Johnson ist zwar der weltgrösste Gesundheitskonzern, sieht sich aber mit einem Marktanteil von lediglich 1% für verschriebene Opioide in Oklahoma im gegebenen Gerichtsprozess als Sündenbock. Zudem verweist ihre Verteidigung darauf hin, dass die Medikamente während und seit dem gefragten Zeitraum zugelassen und mit nötigen Warnhinweisen versehen sind.

Ein Urteil mit wegweisendem Charakter

Signifikant ist vielmehr das Signal, dass diese Schuldspechung sendet. In der Kommunikation um die Opioidkrise kristallisiert sich eine klare Zuweisung der Schuld an die Opioidhersteller heraus. Das Urteil bestätigt erstmals durch einen Gerichtsprozess, was die Opioidkrise seit Jahren demonstriert: Die Abhängigkeit kranker Menschen wird von Pharmakonzernen ausgebeutet, um ihre Profitgier zu befriedigen. Es stehen noch hunderte weiterer Verfahren gegen diverse Konzerne an, allein gegen Purdue laufen 1600 zusätzliche Klagen. Dieses Urteil dürfte den Weg gebahnt haben für einen neuen Umgang mit der Opioidkrise, wo Entschädigungszahlungen nicht mehr reichen, sondern Manager und Besitzer zur Verantwortung gezogen werden.