Follow-Up: Wahlkampfkommunikation im Wandel II.

Auch in der Schweiz wandelt sich der nationale Wahlkampf zunehmend zur Unterhaltungsperiode für das Stimmvolk. Die Digitalisierung ermuntert selbst sonst sehr konservativ kommunizierende Parteien und Listenplatz-Besetzer und Besetzerinnen, dem Volk nicht nur Brot, sondern auch Spiele zu versprechen. Aus kommunikationsfachlicher Betrachtung kommen dabei die Inhalte zu kurz. Nur wenige Parteien schaffen es bisher eine wiedererkennbare Botschaft bei den Bürgern zu platzieren. Die echten Grünen und die sich mit grünen Themen assozierenden andersfarbigen Parteien hatten kommunikativ bisher die Nase vorn. Das liegt nicht nur am Megatrend «Umwelt und Nachhaltigkeit», sondern auch an der Wahl der kommunikativen Mittel und Inhalte.

Der Wahlkampf 2019 der Schweizer Parlamentswahlen wird spürbar digitalisiert. Während die CVP und die Grünen mit einer reinen Social Media Kampagne eine neue Dimension der Wahlwerbung erschliessen, sind SP und SVP mit Video-Clips daran die Bandbreite an politischen Werbemitteln völlig neu zu definieren. Es stellt sich nun die Frage, ob die neue digitale, oder die klassisch konservative Art von Wahlwerbung Erfolg bringen wird? Wir versuchen eine Beobachtung aus kommunikativer Sicht.

Mit Action und Drama auf Stimmenfang

Mitte August kündigte die SVP an, einen mehrteiligen 50-minütigen Wahlkampffilm samt Trailer zu veröffentlichen. Also quasi eine Staffel à la Netflix. Die SP zog mit einem dramatisch anmutenden zweiminütigen Videoclip anfangs September nach. Kreisch. Der SVP ist das Metier Video oder gar YouTube-Sensation nicht unbekannt. 2016 publizierten sie das Video «Welcome to SVP», welches allein auf YouTube über 1 Million mal aufgerufen wurde. Das war ein Totalerfolg, weil neu und überraschend. Mit den jetzigen Veröffentlichungen begeben sich allerdings sowohl SP, als auch SVP in eine ganz neue Sphäre der Videoproduktionen. Bei Schnitt, Cast und Dramaturgie handelt es sich um Standards, wie man sie sonst eher aus teuren Hollywood-Produktionen kennt. Wer die Clips zum ersten Mal sieht, findet allerdings wenig der jeweiligen Partei-DNA in den Produktionen. Die Botschaften sind dünn. Es geht mehr um simple Aufmerksamkeit.

Dabei setzte die SVP auf eine eher plakative Actionkomödie, während sich die Spannung im Video der SP wesentlich intensiver in Form eines echten Dramas aufbaut. Was die Parteien damit sicherlich erreichen ist eine massiv gesteigerte Reichweite. Als erste Schweizer Volksparteien, die sich in Form eines solchen Spielfilmtrailers für den Wahlkampf inszenieren, profitieren sie von besonderer Aufmerksamkeit. Auch die Medien stürzten sich – überraschend unkritisch- in die Berichterstattung über die neue Art und Weise der amüsanten Politfilmchen. Tage-, nein gar wochenlang wird landauf und landab über die Videos geschrieben und kommentiert. Dieser durchaus gewollte Effekt der Wahlkampfstrategen ist also gelungen.

Anders zu kommunizieren wird zum Programm

Die Aufmerksamkeit für die SP wie auch für die SVP war hoch und diese Zeilen zeigen, sie bleibt auf einem ansehnlichen Niveau. Sinnvoll bei der Wahl des medialen Transportmittels war sicherlich auch, dass es sich bei den Inhalten zur Abwechslung einmal nicht um die übliche ätzende provokative und polarisierende Wahlwerbung handelt. Beide Parteien verfolgen einen neuen, leicht progressiveren Kommunikationsansatz. Das ist grundsätzlich erfrischend und war auch notwendig. Wir vergeben der SVP und der SP deshalb die respektable Zwischennote 4.5; für den Mut, die Ausführung und das damit erzeugte Mediengewitter.

Mangel an Inhalt wird zum Stilmittel

Ein weiterer gemeinsamer Nenner ist jedoch auch der mangelnde Inhalt des Videos, während die tatsächlich vorhandene Aussage weitestgehend realitätsfern ist. Die Filme spitzen sich beide auf eine Art «Doomsday» zu. Wie Politikberater Mark Balsiger beschreibt, präsentieren sie ein «to be or not to be»-Narrativ. Dies ist bei den nationalen Parlamentswahlen, wo alle vier Jahre maximal zwei, drei Sitze verloren oder gewonnen werden können schlicht nichtzutreffend. Der Mangel an Inhalt ist insofern unproblematisch, oder gar Stilmittel, als dass es den Parteien gelingt die generierte Aufmerksamkeit auf ihre parteieigenen Anliegen zu übertragen.

Es droht die Gefahr vom Verlust der klar erkennbaren Identität der Parteien

Kritisch betrachtet, haben sich mit politischer Wahlagenda und Spielfilm zwei Metiers ineinander verirrt. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die SVP ihren renommierten Regisseur nicht bekannt geben will. Wie Thomas Matter gegenüber dem Tagblatt erklärt, sei “die Kulturszene der SVP gegenüber sehr feindlich eingestellt”. Durch die Identitätsbekanntgabe wolle die Partei keine Auftragsverluste für den Regisseur provozieren. Wie sich Wahlkampf und Actiontrailer effektiv vertragen, wird sich noch zeigen müssen. Aber zumindest diesen Herbst werben SP und SVP mit ihren Trailern erstmals packend und unterhaltsam, wenn auch – vielleicht bewusst – nicht informativ.

Inhaltlich bleibt die wahlkampftechnische, wichtige und wahrscheinlich entscheide Frage für diese beiden Parteien offen: Was geschieht mit den programmatischen Kernbotschaften dieser beiden Polparteien rechts und links der Mitte? Der Verlust der klaren Identität aufgrund von zu viel Unterhaltung und zu wenig Inhalt ist ein Risiko. Die bisherigen Umfragen lassen heute noch keine klaren Rückschlüsse zu. Die Wahlresultate am Sonntag, 20. Oktober werden eine erste Antwort darauf geben.