Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen in den Arbeitsmarkt
Bericht und der Empfehlungen des Beauftragten für Flüchtlinge und Wirtschaft Dr. iur. Eduard Gnesa, zusammengefasst von Nadine Keller

2015 ist die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz stark angestiegen. Auch erhöhte sich die Zahl der Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen, die längerfristig oder für immer in der Schweiz bleiben. Dabei ist die Arbeitslosenquote höher bei Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen, obwohl die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber offen sind, solche anzustellen. Somit zeigt sich, die bisherigen staatlich geförderten Massnahmen zur Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen sind noch zu wenig mit den privaten Betrieben und deren Bedürfnissen koordiniert. Um die Integration zu verbessern, bedarf es eine Erleichterungen bei der Bereitstellung von Arbeits- oder Ausbildungsplätzen für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene.
Aktueller Zustand
Angesichts der tiefen Quote der Erwerbstätigkeit von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen haben Bund und Kantone einen Handlungsbedarf erkannt. In den ersten 4 bis 5 Jahren nach der Einreise beträgt ihre Erwerbsquote lediglich ca. 30 Prozent. Erst nach 7 Jahren erreicht sie ca. 50 Prozent. Deshalb wurden bereits zahlreiche Massnahmen zur Verbesserung der beruflichen Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen getroffen, auch in Zusammenarbeit mit Wirtschaftsverbänden, Sozialpartnern und Arbeitgebern.
Weitestgehend unbestritten ist das Ziel, Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen geeignete Arbeitsplätze oder Lehrstellen zur Verfügung zu stellen, und sie gewinnbringend für alle in die Arbeitswelt zu integrieren. Ebenso unbestritten ist, dass diese Personen selber dazu beitragen müssen, rasch arbeitsmarkt- oder ausbildungsfähig zu werden. Dabei kristallisieren sich klare Forderungen heraus, die erfüllt sein sollten, damit zukünftig vermehrt Anstellungen erfolgen können. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber brauchen dazu günstige Rahmenbedingungen. Konkret bedeutet dies einen Abbau von administrativen Hürden, um eine Erleichterungen bei der Bereitstellung von Arbeits- oder Ausbildungsplätzen für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene zu ermöglichen.
Einstellungshürden für Unternehmen
In der Schweiz sind bei Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen höhere Arbeitslosenquoten beobachtbar. Dies birgt belastende Konsequenzen für die Wirtschaft und die Gesellschaft. Gelingt es nicht, eine 25-jährige Person in den Arbeitsmarkt zu integrieren, entstehen bei monatlich 2’500.– Franken für eine Einzelperson bis zur Erreichung des AHV-Alters hochgerechnet, Sozialhilfekosten in der Höhe von einer Million Franken. Für Bund und Kantone bedeutet eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration somit weniger Sozialhilfekosten. Sie sind aber gefordert bei der Ausbildung und bei der Begleitung der Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen in den Arbeitsmarkt.
Für die Anstellung von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen sind Arbeitgeber auf oberster Leitungsebene grossmehrheitlich offen. Motivation dafür bieten das Suchen nach fehlenden Arbeitskräften für Unternehmen, aber auch soziale Mitverantwortung, kostengünstige Arbeitskräfte und unbesetzte Lehrstellen bilden Anreize.
Die schlechte Informationslage zu Anstellungsbedingungen für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene und ein befürchteter hoher administrativer Aufwand sind wichtige Gründe, weshalb Arbeitgeber wenige oder keine Anstellungen vornehmen. Zu den zentralen Einstellungshürden gehören ausserdem mangelnde Qualifikationen von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen. Nur ein geringer Anteil verfügt über eine höhere Bildung. Ca. 50 Prozent haben im Herkunftsland höchstens die obligatorische Schule absolviert. Lediglich rund ein Fünftel verfügt über eine Ausbildung auf der Sekundarstufe II oder auf der Tertiärstufe.
Integrationsbegünstigende Bedingungen für Unternehmen
Die Arbeitgeberinnen Arbeitgeber brauchen Erleichterung bei der Bereitstellung von Arbeits- oder Ausbildungsplätzen für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene. Arbeitgeber wünschen im Hinblick auf die Einstellung eines Flüchtlings oder vorläufig aufgenommener Person eine vertrauenswürdige Potenzialabklärung. Sie wollen sich nicht allein auf die Aussagen eines Jobanwärters verlassen. Eine erfolgreiche Abklärung des beruflichen Potenzials bedarf das Ansetzen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt. Dabei ist auf die Kombination verschiedener Methoden und einer möglichst durchgehenden Fallführung durch das gleiche Personal mit einheitlichem Leitfaden besonders Wert zu legen.
Zudem ist eine minimale Qualifikation Voraussetzung für den Zugang zum Arbeitsmarkt. In der Regel wünschen Arbeitgeber bei der Anstellung von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen nicht nur Schnupperlehren oder kurze Praktika, sondern eine Anlehre oder idealerweise eine Berufslehre. Die benötigte Mindestqualifikation ist aber branchenabhängig. Beispielsweise gehen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in den Pflegeberufen von anderen Voraussetzungen aus als bei der Küchenhilfe.
Um eine minimale Qualifikation zu fördern, stellt sich insbesondere das Pilotprojekt für Integrationsvorlehren als vielversprechendes Instrument heraus. Diese wurde 2017 vom SEM eingeführt und ermöglicht 800 - 1000 Personen jährlich eine einjährige praxisorientierte Qualifikation und damit bessere Startchancen. Dieses Pilotprogramm wird in enger Zusammenarbeit mit den Berufsbildungsbehörden der Kantone durchgeführt und dauert bis 2021. Bundesrat und Parlament haben dafür gesamthaft 54 Millionen Franken bereitgestellt. Eine Person mit Ausbildung ist nicht nur besser vor Arbeitslosigkeit im Falle eines Konjunkturumschwungs geschützt, das Gelernte kann auch bei einer späteren Ausreise hilfreich sein in Form eines sogenannten «Brain Gains».
Unternehmerinnen und Unternehmer fordern überdies rasche Verfahren und Rechtssicherheit bezüglich dem Aufenthaltsstatus der Arbeitssuchenden. Gerade bei den vorläufig Aufgenommenen ist dies im Hinblick auf den Abschluss einer Lehre ausschlaggebend. Dabei sind auch finanzielle Anreize wichtig, um eine anhaltende Arbeitsmotivation zu erhalten. Schwelleneffekte zwischen Sozialhilfe und Löhne können die Integration in den Arbeitsmarkt insofern bedrohen, als dass kein Anreiz zum Arbeiten besteht, wenn der erhaltene Lohn geringer als der erhaltene Sozialhilfebeitrag ist.
Massnahmen zur Integrationsförderung
Eine konkrete Massnahme zur Lösung der eruierten Probleme betrifft Information und Vernetzung. Eine leicht zugängliche und einheitliche schweizweite Internetplattform für Information, Austausch und Netzwerkbildung zu schaffen, wäre sinnvoll. Diese Plattform sollte alle relevanten Informationen der Kantone und des SEM zur Anstellung von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen bündeln, wodurch Leitfäden zu Anstellungsbedingungen und administrativem Vorgehen, Normverträge für verschiedene Anstellungsarten und eine aktuelle Liste aller Ansprechpersonen in den Kantonen an einem Ort auffindbar wären. Diese Art „One-Stop-Shop“ für Unternehmer in den Kantonen soll mit arbeitsrechtlicher Beratung, Empfehlungen zu Lohn, Versicherung und Bewilligungen allen Seiten Vorteile bringen.
Eine solche Internet-Informationsplattform würde es den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern ermöglichen, bei freien Stellen rasch passende Dossiers zu erhalten. Dieser effiziente Austausch bedarf Informationsveranstaltungen auf mehreren Ebenen, damit der Dialog zwischen lokalen und nationalen Behörden, sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern intensiviert wird. Damit wird vermehrt ein persönlicher Dialog und eine Sensibilisierung für die Anstellung von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen gefördert. Konkret sollten dafür bereits bestehende Gremien auf Bundes- und Kantonsebene genutzt werden.
Eine weitere Förderungsmassnahme besteht darin, jedem arbeitsmarktfähigen Flüchtling oder vorläufig Aufgenommenen, wenn immer möglich, einen Job Coach zuzuteilen. Als Ansprechpartner für die potenziellen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, einstellenden Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, sowie Sozialbehörde und Koordinatoren in der Region ermöglicht dieser eine bessere und einheitliche Begleitung beim Arbeitseinstieg. Sie sollten primär Kontaktperson für Arbeitgeber und Flüchtling oder vorläufig aufgenommene Personen sein und helfen interkulturelle Missverständnisse zu vermeiden. Durch Netzwerkpflege mit den Unternehmen und Mithilfe bei der Suche nach Integrationsplätzen oder Lehrstellen sollen Job Coaches die Erstvermittlung in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Konkret wäre es deren Aufgabe, die Person auf den Arbeitsmarkteinstieg vorzubereiten, ihr bei der Stellensuche zu helfen und während der ersten Zeit nach Stellenantritt als Ansprechperson für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu dienen und gegebenenfalls zu vermitteln.
Bestrebungen in diese Richtung werden von einzelnen Kantonen bereits unterstützt oder selber realisiert. Diese Anstrengungen sind zu intensivieren, wobei auch private Personen und NGOs miteinbezogen werden können. Es ist auch denkbar, dass Job Coaches vermehrt die Arbeitsmarktintegration von weiblichen Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen fördern könnten, indem sie Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufzeigen und kulturell vermitteln, sowie Frauen bei der Suche nach passenden Stellen spezifisch unterstützen.
Am 25. April 2018 hat der Bundesrat die Integrationsagenda verabschiedet. Um die Finanzierung von Förderungsmassnahmen – wie Potentialabklärungen und Job-Coaches – rasch zu sichern, hat er die Integrationspauschale für die Kantone von 6'000 auf 18'000 Franken pro Flüchtling/vorläufig Aufgenommene/-n erhöht. Nicht zuletzt sollten Anreize für Arbeitgeber geschaffen werden, um den anfänglichen Mehraufwand einer Anstellung von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen auf sich zu nehmen. Damit diese ausgebildet und eingearbeitet werden können, sollten Modelle wie Teillöhne oder Einarbeitungszuschüsse geprüft werden, wie diese im Kanton Graubünden und Kanton Bern bereits bestehen. Insbesondere Branchen mit tiefer Arbeitslosigkeit (Pflege, Betreuung) formulieren solche Erwartungen. Auch eine öffentliche Anerkennung, beispielsweise ein Label für Arbeitgeber, die Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene anstellen, ist denkbar.
Abbau administrativer Hürden und «Matching»
Eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration hängt von der effizienten Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat, sowohl auf politischer Ebene als auch auf Verwaltungsstufe, ab. Dabei liegt der Abbau administrativer Hürden im Fokus und das Fördern des «Matching» zwischen den Anforderungen einer Stelle, den Kompetenzen und dem Potenzial der an der Stelle interessierten Person. Folglich zielen Schlüsselempfehlungen zur Verbesserung der Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen in den Schweizer Arbeitsmarkt auf drei Bereiche ab: «Information und Vernetzung», «Potenzialabklärung und Job Coaching» sowie «Anreize für Arbeitgeber».
Damit erhofft man sich einen Beitrag zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft im Bereich der Arbeitsintegration zu leisten. Denn nur eine gelungene Arbeitsmarktintegration führt schliesslich zu einer wirklichen Partizipation am Gemeinschaftsleben im Aufnahmestaat. Diese vollständige Integration ist deshalb im gesamtgesellschaftlichen Interesse, weil sie nachweislich auch zu besseren Gesundheitswerten führt, was nicht zuletzt kostentechnisch bedeutsam ist. Zudem führt eine gute Integration zu weniger gesellschaftlichen Spannungen und trägt zu einer höheren Akzeptanz gegenüber der Migrationspolitik generell bei.
2017 bis 2018 hat Dr. iur. Eduard Gnesa als Beauftragter für Flüchtlinge und Wirtschaft im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) 55 Interviews mit Arbeitgebern, Sozialpartnern, Branchenverbänden, staatlichen und kantonalen Stellen sowie Integrationsexperten geführt. Dabei wurden Empfehlungen für eine verstärkte Partizipation der Arbeitgeber an der Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen in den Arbeitsmarkt formuliert. Für den Bericht wurden rund 50 Interviews mit Arbeitgebern sowie Vertretungen von Verbänden geführt.
Dr. iur. Eduard Gnesa ist ehemaliger Direktor des Bundesamts für Migration (BFM) und ehemaliger Botschafter der Schweiz für internationale Migrationszusammenarbeit. Er ist KMES-Partner und Inhaber der GNESA Politische und rechtliche Beratung in Migrationsfragen.