Zwei Fäuste für kein Halleluja

Über die Unbedarftheit öffentlicher Gesten

Öffentliche Auftritte haben ihre Tücken. Wie Joe Biden eben in Saudiarabien erfahren musste. Ein mutmasslich gut gemeinter Begrüssungsakt wird zum Symbol amerikanischer Schwäche hochstilisiert. Ähnliches ist auch Schweizer Verantwortungsträgern schon widerfahren. Wer Fehlinterpretationen vermeiden will, sollte sich entsprechend vorbereiten.

Wir vermuten, dass es Absicht war. Die Begrüssung mittels eines «fist bump» - vulgo Ghettofaust – zwischen Joe Biden und dem saudischen Kronzprinzen Mohammed bin Salman in Jeddah am letzten Freitag. Dem amerikanischen Präsidenten eilt zwar der Ruf voraus, seine Gesten und Worte mit einer gewissen Nonchalance statt nach steifem Protokoll und punktgenauem Skript zu wählen. In diesem Fall aber schliessen wir das aus, zu delikat war der Staatsbesuch bei jenem Mann, der laut Erkenntnissen westlicher Geheimdienste mit hoher Wahrscheinlichkeit im Herbst 2018 die Ermordung von Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul autorisiert haben soll.

Ein formeller Handschlag verbot sich offensichtlich für das Weisse Haus, so auch der in dieser Weltgegend gerne verabreichte Stirnkuss, da zu intim und viel zu freundschaftlich. Fäusteln dagegen schien dem Oval Office mutmasslich am unverfänglichsten, schliesslich hatte es vor Biden schon Barack Obama häufiger praktiziert, und überdies ist es Corona-konform.

Kumpelhafte Anbiederung

Dumm nur, dass die Geste nicht so verstanden wurde. Unangebracht «kumpelhaft» sei die Begrüssung gewesen, so maulte die eigene und gegnerische Wählerschaft zuhause. Biden fraternisiere mit dem Repräsentanten jenes Staates, den er noch vor wenigen Wochen wegen der Ermordung von Dissidenten als Pariah bezeichnet habe.

Angestachelt worden sein dürfte diese Kritik nicht zuletzt durch die demonstrative Dominanz dieses einen fotographisch festgehaltenen Augenblicks in sämtlichen saudischen Medien.

Dass völlig banale Begrüssungsformen unter erwachsenen Menschen heikel sein können, musste im März auch schon der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz Peter Maurer erkennen. Die Aufnahme, wie er freundlich lächelnd den russischen Aussenminister Lawrow in Moskau mit Handschlag begrüsst, ging um die Welt. Russische Medien schlachteten es genüsslich aus als Beweis dafür, dass Russland das humanitäre Völkerrecht sehr wohl respektiere. Für die Ukraine war es eine Provokation erster Güte und ein scheinbarer Beweis dafür, dass das IKRK in diesem Konflikt nicht mehr neutral sei.

Umgekehrt wird der amtierende Bundespräsiden Cassis hierzulande noch immer sein Auftritt während einer Solidaritätskundgebung für die Ukrainer auf dem Bundesplatz in Bern vorgehalten, bei der er dem live zugeschalteten Präsidenten Selenski in warmen Worten und mit Applaus die Unterstützung zusicherte.

Es zählt der Schein, mehr denn je

In allen drei Fällen – es gebe zig weitere – steht das öffentlich Sichtbare in Widerspruch mit der Erwartung der Öffentlichkeit, wie "man" sich als Verantwortungsträger in einer solchen Situation zu verhalten habe. Das Resultat ist eine negative Wahrnehmung, die dank digitaler Verbreitung medial zigfach verstärkt wird. Da zählt nicht mehr, wie relevant die Geste im Gesamtkontext überhaupt ist.

Es verwundert daher nicht, wenn bei Auftritten von Politikern über Wirtschaftsführer bis zu Wissenschaftern jede Authentizität verlustig geht; der Schein zählt, nicht das Sein. Wichtiger ist Krawattenfarbe, das Schuhwerk, die Art der Begrüssung, ja gar die Mimik. Im Wahlkampf von 2021 wurde letzteres dem glücklosen Kanzlerkandidat Armin Laschet zum Verhängnis. Bei einer Gedenkrede des Bundespräsidenten für die Opfer der verheerenden Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfahlen lachte er fröhlich in die Kamera und löste einen regelrechten Shit-Storm aus.

Das Erwartungsmanagement verbessern

Daraus lassen sich zwei Lehren ziehen: Unbedarftheit rächt sich. Und nicht ein «gut gemeint» ist bei Gesten von hohem Symbolgehalt zielführend, sondern ein «richtig antizipiert». Was drittens zur Erkenntnis führt: Es kann bei heiklen öffentlichen Auftritten sinnvoll sein, das eigene Verhalten nicht nur akribisch zu planen, sondern es bereits im Vorfeld anzukündigen, wenn klar ist, dass es missverstanden werden könnte. «Ich werde Salman selbstverständlich pandemiekonform begrüssen, das ziemt sich. Das ändert aber nichts an meiner Haltung, dass ich ihn als verantwortlich für die Ermordung Khashoggis halte.», hätte Biden etwa seinen Landsleuten statt im Nachgang und verteidigend bereits vor der Visite und somit selbstbestimmt mitteilen können.

Wem das zu kleinteilig ist, sollte mindestens darauf achten, symbolträchtige Gesten mit hohem Erregungspotential nicht direkt vor laufender Kamera zu tätigen.

KMES Partner | Markus Spillmann